Kommunikationskanäle – Kapitel 1: Die Taverne Zum Einäugigen Drachen

Wenn man mich fragt, wo ich aufgewachsen bin, so könnte ich sagen „in der Taverne Zum Einäugigen Drachen.“ Selbst für damalige Verhältnisse war dieses Gasthaus nicht sonderlich groß, wenn es auch sicher niemand „winzig“ hätte nennen mögen.

Die Taverne hatte einiges mitgemacht. Mehrmals ist sie umgebaut worden. Das Mobiliar: ein Sammelsurium der Tischlerkünste der vergangenen Sonnenläufe. Die älteren Stühle mitunter etwas ramponiert, manche notdürftig geflickt, die vorderen Plätze fein hergerichtet mit einem Geschirrtuch als Platzdeckchen und einer etwas windschiefen Kerze auf dem Tisch. In meiner Erinnerung roch die Luft leicht nach dunklem Bier und dem Anstandsrest der Geburtstagstorte von gestern.

Immer war etwas los. Täglich wurden neue Abenteurer angespült, die eifrig ihre Aushänge an das große Brett am Eingang nagelten. Hier war ein kleiner Algorithmus zu erlegen, dort ein paar fiese Bugs zu vertreiben und manchmal gab es auch die ein oder andere Konzeption, die als große Queste ausgeschrieben wurde und Ruhm und Ehre versprach.

Manche würden sagen, der Ton sei etwas rau gewesen in dieser, unserer Taverne. Insbesondere der Drache am Eingang hauchte so manchem Level-1-Charakter einen kleinen Schrecken ein. Aber man konnte mit Fug und Recht behaupten, dass diejenigen Abenteurer, die sich in unsere Taverne trauten, dass die, die die Mutprobe bestanden, zuverlässig ihre Erfahrungspunkte verdienten. Ich selbst habe dort mein Handwerk gelernt und halte diese Lehrjahre für ausgesprochen wertvoll.

Ja, ich gebe zu, die „Taverne“ war kein Gasthaus in einem Fantasy-RPG, sondern ein Webforum und hieß auch anders. Aber es gab den Drachen und das dunkle Bier und es gab die Geburtstagstorte. Und – und das ist das, was ich eigentlich erzählen möchte – es gab das Ende der Tavernen, den Niedergang der Webforen.

Jedes Zeitalter hat sein Ende und das Zeitalter der Webforen ging zu Ende, als die großen Plattformen und Sozialen Netzwerke erschaffen wurden und immer weiter an Macht gewannen. Als ich zum ersten Mal Stackoverflow besucht hatte, kam mir das wie eine Fast-Food-Kette vor. Alles blitzeblank geputzt, hocheffizient organisiert und ausgestattet mit Treuepunkteprogrammen. Der Nutzen war klar, aber irgendwie fehlte mir das heimelige Gefühl der alten Taverne. Niemand feierte Geburtstag, kein Drache saß am Eingang, keine langen Diskussionen, in denen sich Stufe-1-Charaktere ihre Sporen verdienen konnten.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Stackoverflow wäre auch nur ein Art Webforum. Man stellt eine Frage und Leute antworten. Und dennoch verhält sich diese Plattform fundamental anders. Und deshalb ist Stackoverflow, in dem, was es erreichen will, so unschlagbar gut und dafür für alles andere total unbrauchbar.

Das Problem

Auf der Arbeit haben wir eine ganze Menge unterschiedlicher Kommunikationskanäle: Email, Chatgruppen, Einzelchats, Wikiseiten, verschiedene Meetingformate, … bis hin zu einem internen Sozialen Netzwerk. Jeder dieser Kanäle hat seine Eigenheiten, seine Vor- und Nachteile und so stellt sich immer wieder die Frage „Was nehme ich denn jetzt am besten?“. Und das ist alles andere als leicht zu beantworten. Jeder scheint seine Lieblingskanäle zu haben und manchmal muss ich feststellen, dass es nicht jedem und auch mir nicht immer gelingt, überhaupt einen geeigneten Kommunikationsweg zu wählen.

Tatsächlich stelle ich mir die Frage, welchen Kommunikationskanal ich verwenden soll, mehrmals täglich. Aber worauf kommt es da an?

Kommunikationszwecke

Das erste, was wir uns überlegen sollten, ist der Zweck der Kommunikation. Was will ich überhaupt erreichen? Will ich nur kurz informieren oder erwarte ich eine Antwort oder gar eine Diskussion? Will ich mit meiner Nachricht eine Art Aufgabe verknüpfen (und sei es auch nur die Aufgabe, mir zu antworten)? Oder will ich eher informieren? Und wie lange ist die Nachricht noch relevant? Für wen ist sie relevant? Und ist es schlimm, wenn sie nicht jeder mitkriegt?

Ich könnte jetzt auf diesem Abstraktionslevel weitermachen und einfach Dinge auflisten, an die man denken muss. Das Resultat wäre, dass die, die eh schon viel Erfahrung mit Kommunikation haben, nur innerlich mit dem Kopf nicken und die, die sich eigentlich mehr Gedanken machen müssten, meine Ausführungen hier als Allgemeinplätze abtun würden. Statt dessen will ich ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern und Beispiele für Situationen geben, in denen Kommunikation nicht gut gelungen ist.

Beispiel 1: Die Agenda für unser Teammeeting bestimmt bei uns das Team. Jeder kann Themen einbringen und dann wird abgestimmt, was wir besprechen. Ein Kollege hat mal „nächste Woche bin ich einen Tag in Urlaub“ auf die Agenda gesetzt. Das ist nicht furchtbar schlimm, aber es ist der falsche Kanal. Es ist nämlich ein teurer Kanal, weil alle im Team sich gleichzeitig mit einem Thema befassen. Das Teammeeting eignet sich gut für Themen, die diskutiert werden sollten oder zumindest solche, die leichter erzählt als aufgeschrieben sind. Ein besserer Kanal wäre die Chatgruppe des Teams gewesen.

Beispiel 2: Manchmal hab ich Infos aus diversen Architektur-Runden, die ich ins Team tragen muss. Ursprünglich hab ich das mal im Daily erzählt. Später gab es für so etwas einen obligatorischen Agendapunkt im Teammeeting. Beides war aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Das Daily wurde mitunter zu lang und das Teammeeting war manchmal zu spät. Mittlerweile bin ich dazu übergegangen, zu differenzieren. Die meisten Infos, die, die sich leicht als kurze Textnachricht beschrieben lassen, poste ich in die Chatgruppe des Teams. Wenn eine Diskussion absehbar ist, kommt es auf die Agenda des Teammeetings.

Beispiel 3: Ich kriege immer mal wieder Emails, in denen Infos drin stehen, ohne dass daraus klar wird, was die Erwartung des Mailschreibers mir gegenüber ist. Manchmal ist es ein Zwischenstand von Arbeitsergebnissen, machmal eine Liste wackeliger Tests, manchmal etwas anders. Ich frage mich dann: Was ist das Ziel der Kommunikation? Wird etwas von mir erwartet? Soll ich etwas tun? Braucht jemand Hilfe? Oder… nicht?

Vor vielen, vielen Jahren hab ich auch mal sowas gemacht. Ich war ganz neu im Job und hatte gehört, dass „Transparenz“ eine wichtige Sache ist. Ich wollte transparent sein und hab einen Zwischenstand meiner Buganalyse meinem Chef per Mail geschickt. Der hat das als Hilferuf aufgefasst und ist zu mir gekommen, um mit mir zusammen den Bug zu jagen. Das war nicht meine Intention und war unterm Strich nicht produktiv. Ich hätte das auch alleine hingekriegt und mein Chef hätte Wichtigeres tun können. Heute lache ich drüber.

Solche und ähnliche Beispiele habe ich über die Zeit gesammelt. Und auch wenn meine Lehrjahre in der alten Taverne schon etwas zurückliegen, auch wenn hier weder ein Drache am Eingang sitzt, noch eine windschiefe Kerze auf dem Tisch steht, so habe ich doch in den letzten Jahren auf neuen Gebieten Erfahrungspunkte sammeln dürfen. Die Erkenntnis, dass man sich beim Kommunizieren immer überlegen sollte, was der Zweck der Kommunikation ist, ist da nur der kleinste – und womöglich der langweiligste – Teil.

In ein paar weiteren Blogartikeln will ich dann versuchen, die etwas weiterführenden Aspekte zu ordnen, aufzuschreiben und dabei auch selbst etwas zu lernen. Denn eines hab ich aus meiner Zeit in der Taverne gelernt: Am meisten lernt man, wenn man versucht, etwas selbst zu erklären.


Dieser Artikel ist Teil einer Reihe über Kommunikationskanäle. Die einzelnen Teile werden in unregelmäßigen Abständen nacheinander veröffentlicht.

  • Kapitel 1: Die Taverne Zum Einäugigen Drachen (Motivation, Kommunikationszwecke)
  • Kapitel 2: Leute, es geht um Kuchen! (Empfängerkreis, Crossposts, Eskalation, Kanalwechsel)
  • Kapitel 3: ??? (Kanaleigenschaften)
  • Kapitel 4: ??? (Chat)
  • Kapitel 5: ??? (ToDos)
  • Kapitel 6: ??? (ineffiziente Kommunikation)
  • Kapitel 7: ??? (Entscheidung)

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