Der geheime Frieden ist in Gefahr. Denn Locke Lamora, Gentleman-Ganove und Priester des namenlosen dreizehnten Gottes, hält sich nicht daran. Mit seiner Bande bestiehlt er die reichen Adligen, obwohl der geheime Frieden diesen eigentlich zusichert, niemals bestohlen zu werden. Locke ist ungestüm, verwegen und ein Meister seines Fachs. Nichts kann ihn aufhalten, so scheint es — bis der Graue König auftritt und ihn eines anderen belehrt.
Die Stadt, in der sich das alles zuträgt, ist Camorr, deren Name nicht von ungefähr an die Camorra erinnert. Neben dem greisen Herzog Nicovante herrscht dort Vencarlo Barsavi, der Capa von Camorr, Herr über die „Richtigen Leute“, die Mafia der Lagunenstadt.
Die Lügen des Locke Lamora ist ein Buch, das durchaus Spaß macht, zu lesen. Camorr versprüht den Charme eines mafiösen Renaissance-Venedig und die Geschichte um Locke und seine Bande ist interessant erzählt. Aber ganz ohne Vorbehalte kann ich das Buch dennoch nicht empfehlen. Schwebt im ersten Teil des Buches nur ein Hauch von Magie in der Luft, so tritt irgendwann ein übermächtiger Soldmagier auf. Nun hat Magie in Fantasy-Geschichten oft das Problem, dass sie zu mächtig ist und damit den Plot unrealistisch macht. Steht der Magier auf Seiten der Protagonisten, haben diese es entweder zu leicht und der Plot wird langweilig oder der Zauberer muss sich nicht nachvollziehbarer Weise oft mit seiner Macht zurück halten, was ihn unrealistisch werden lässt. Steht der Magier aber auf Seiten der Gegenspieler, werden deren Pläne entweder ziemlich simpel oder unrealistisch, weil es keinen Grund für komplizierte Herangehensweisen gibt. Deshalb muss Magie irgendwie eingeschränkt werden, damit eine Geschichte funktioniert. Unkontrollierte Magie macht also entweder den Plot langweilig oder unglaubwürdig. Hier ist leider das letztere der Fall. Die Soldmagier wirken unglaubwürdig, weil sie viel zu mächtig sind. Warum sollten Zauberer, die sich unverwundbar machen, Gedanken manipulieren und durch Wände gehen können, ihre Dienste für Geld anbieten? Und warum nutzt man nicht die Dienste eines solchen Magiers voll aus, wenn man es könnte, und verfolgt stattdessen einen komplizierten und fehleranfälligen Plan?
Auch Locke, die Hauptfigur, ist nicht immer so, wie er sein könnte. Er wird eingeführt als übereifriger kleiner Bengel, der es liebt zu stehlen und langsam lernt, wie wichtig Planung und Voraussicht ist. Diese Voraussicht scheint er mit der Zeit aber wieder zu verlieren. Insbesondere gegen Ende des Buches handelt er wieder alles andere als vorausschauend. Gründe für diese Rückwärtsentwicklung werden nicht genannt und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie gewollt oder einfach nur dem Plot geschuldet ist. Schade, denn eigentlich sind Locke und seine Bande wirklich interessante Charaktere.
Trotz dieser Mankos hat Scott Lynch dennoch ein ganz gutes Buch geschrieben, das sich unterhaltsam liest. Rückblenden in Lockes Kindheit unterbrechen regelmäßig die Handlung, beleuchten die Hintergründe und bauen einen zweiten Handlungsstrang auf. Das ist ganz gut gemacht, wenngleich ich an der ein oder anderen Stelle das Gefühl hatte, dass es besser ginge. Camorr ist als Handlungsort gut durchdacht und interessant. Die Komplexität der Handlung wirkt zwar manchmal etwas gekünstelt und ist den Protagonisten irgendwie nicht völlig bewusst, aber zur Unterhaltung taugt sie allemal.
Insgesamt ist „Die Lügen des Locke Lamora“ also nicht überragend, aber dennoch ganz gut. Die Folgebände werde ich mir wohl dennoch nicht kaufen und lieber etwas anderes lesen.