Bud Spencer ist ein dicker, bärtiger Haudrauf, der viele Prügelfilme gemacht hat und jetzt über 80 ist. Ja. Aber er war auch Olympionik. Seine Schwimmerkarriere ist ja hinlänglich bekannt, aber in der Wikipedia kann man nachlesen, dass Carlo Pedersoli, wie der Kerl gebürtig heißt, noch viel mehr kann. So ist er wohl auch Komponist, hat Jura studiert und mehrere Erfindungen patentiert. Erstaunlich. Was kann der Kerl eigentlich nicht?
Vor anderthalb Ewigkeiten hab ich mal ein Interview mit ihm gesehen. Dort hat er behauptet, er könne eigentlich nicht schauspielern. Die ganzen Rollen, die er verkörperte, seien alle so ähnlich, weil es jeweils nur er selbst sei, der da zu sehen ist. Das sei nicht geschauspielert. Ich mag die Bud-Spencer-Filme. Zumindest einige davon. Aber es stimmt natürlich: Bud Spencer ist immer der selbe.
Konstruieren wir aber mal etwas, das Bud Spencer niemals könnte. Etwas, das einen echten Schauspieler erfordert. Wir brauchen also etwas, bei dem ein Schauspieler viele Rollen übernehmen muss. Beispielsweise etwas über Klone mit äußerlich identischem Aussehen, aber fundamental unterschiedlicher Persönlichkeit. Aber nicht nur zwei Klone. Es müssen schon wenigsten fünf oder sechs sein und es muss Szenen geben, in der sich drei Klone miteinander unterhalten — oder besser noch — streiten. Hm… reicht noch nicht. Damit es nicht so einfach ist, muss es auch Szenen geben, in denen sich ein Klon für den anderen ausgibt.
Bauen wir das mal zusammen:
- Klon Nummer 1 ist überfordert und kleinkriminell
- Klon Nummer 2 psychisch labil und bei der Polizei
- Klon Nummer 3 bürgerlich, überbehütend, aber auch nicht ganz normal
- Klon Nummer 4 studiert Evolutionsbiologie
- Klon Nummer 5 ist fremdländisch und spricht mit Akzent
- Klon Nummer 6 bringt aus religiösem Fanatismus Leute um
- …
Und jetzt gibt sich 1 für 2 und 5 aus, spielt auch mal 3 und 3 muss auch mal 1 vertreten. 5 und 2 müssen im Beisein von 1 sterben. 3, 4 und 1 sind nicht immer einer Meinung und 6 und 1 gehen auch nicht gerade lieb miteinander um, weswegen 6 so tut, als sei sie 1, die gerade 2 mimt.
Das alles klingt sehr nach Komödie und wenn Bud Spencer das spielen würde, würde wohl auch eine daraus werden. In stark vereinfachter Form hat Bud Spencer sowas auch schon gemacht. Aber nein. Damit das zur echten Schauspielherausforderung wird, muss das Ganze natürlich ein Thriller werden und man muss peinlich genau darauf achten, dass die Handlung nicht ins Komödiantische abrutscht.
Eine echte Herausforderung. Aber wer soll diese annehmen? Die, die das tut und die Aufgabe mit Bravour meistert, heißt Tatiana Maslany und die zugehörige Fernsehserie Orphan Black. Hut ab. Das ist echte Schauspielkunst. Das geht sogar so weit, dass man beim Zusehen echt vergisst, dass es sich jeweils um ein und die selbe Schauspielerin handelt.
Auch anderweitig ist die Serie für ihre Macher eine Herausfoderung. Etwas ins Lächerliche ziehen, kann jedes Kind. Aber eine Szene davor zu bewahren, lächerlich oder komödiantisch zu wirken, wenn es um solche Maskerade mitsamt Verwechslungen geht, ist echt schwer. Ich hab das selbst gemerkt, als ich letztens schonmal kurz was über die Serie geschrieben hab. Ich hab ziemlich lange daran gefeilt, bis ich das da zusammengebracht hatte:
„Eine hübsche junge Frau, Vollwaise, überfordert, zwielichtig, steht am Bahnhof. Eine andere hübsche junge Frau, wortlos, benebelt, äußerlich identisch zur ersten, wirft sich vor den Zug. Die erstgenannte schlüpft in die Rolle der nun toten. Und ab da wird die Sache kompliziert. Aktenkoffer, durchwühlte Hotelzimmer, die dubiosen Kollegen von der Polizei, die eigene Vergangenheit, die neue eigene Vergangenheit… Ach ja: Und da sind noch ein paar andere mit ebenfalls identischem Äußeren, aber nicht minder rätselhaften Motiven. Orphan Black hat etwas Besonderes. Eine intelligente Thrillerserie, die einem im Kopf bleibt.“
Und so richtig perfekt ist das auch nicht. Die Drehbuchautoren habens wohl auch nicht leicht. Auch die Regie muss passen und das Schauspielern sowieso. Ist irgendwas davon daneben, gibt es unfreiwillige Lacher. Und es gibt viele Szenen, die nur zu leicht klischeehaft gut in eine Komödie passen würden. In die Art von Komödie, die ich eher nicht mag. Solche Filme, die eine peinliche Situation nach der anderen produzieren, kann ich nicht ausstehen. Da fangen bei mir sofort die Spiegelneuronen an zu blinken. Ich befinde mich zwar nur sehr selten in peinlichen Situationen, aber das Gen für Schadenfreude hab ich wohl nicht abgekriegt. Für Orphan Black wird dieses auch gar nicht benötigt.
Hier passt alles. Die Dialoge, die Stimmung, die Handlung. Es passt zusammen und es ist echt ein Thriller und keine alberne Komödie. Dabei ist Humor durchaus vorhanden. Aber anstatt auf Schadenfreude, baut der Humor auf augenzwinkernden Kommentaren und subtilen Anspielungen auf. Das ist geschickt eingebautes Stilmittel und kommt kaum unfreiwillig daher.
Ich mag mehrdimensionale Handlung. Ich mag parallele Handlungsstränge, die voneinander abhängen, zwischen denen hin und her gesprungen werden kann, um die einzelnen Spannungsbögen zu komponieren. Eine Geschichte ist gut, wenn sie im Kopf bleibt. Das kann aus unterschiedlichen Gründen sein. Der Plot, die Charaktere oder die Welt bzw. Stimmung… Hier ist es neben den Charakteren, sicherlich die komplexe, spannende Handlung, die komplizierten Verwicklungen, die einen mitunter dazu bringen, sich nochmal hinzusetzen und auszuknobeln, welche Probleme alle noch ungelöst herumliegen und drohen, der Protagonistin ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten.
Aber damit nicht genug: Die Handlung wirft unterschwellig ganz interessante Fragen auf. Alle diese Klone sind auf ihre eigene Weise besonders und so unterschiedlich voneinander, dass man kaum glauben kann, das alles von ein und der selben Schauspielerin gespielt wird. Und dann sind sie doch wieder irgendwie ähnlich. Genetisch sind Helena und Cosima identisch. Äußere Einflüsse haben sie dazu gebracht, das zu sein, was sie sind. Aber wie ist das bei uns? Fragen über Gentechnik und Klonen und den verantwortungsvollen Umgang mit Wissenschaft ließen sich stellen. Keine dieser Fragen wird aktiv gestellt. Und dennoch: Wer sie sich stellen möchte, findet in der Serie das ein oder andere zum Nachdenken.
Normalerweise hab ich ja immer etwas zu kritisieren. Nur loben ist langweilig. Aber hier fällt es mir tatsächlich schwer. Klar gibt es ein paar Kleinigkeiten: Fingerabdrücke sind auch bei eineiigen Zwillingen unterschiedlich. Demnach auch bei Klonen. Eine Selbstmörderin die statt eines Abschiedsbriefs ihre Tasche und Schuhe hinterlässt (warum?). Die ein oder andere etwas zu gekonnte Verstellung, die nicht bemerkt wird (Sarah kann einen ganzen Tag lang so tun als wäre sie Polizistin? Ohne den blassesten Schimmer von dieser Arbeit?). Schreie, die niemand hört (Vic in der Garage). Aber das ist echt jammern auf hohem Niveau.
Insgesamt ist Orphan Black eine spannende Thrillerserie, die handwerklich durchweg überzeugt. Und vor allem eine, die zeigt, dass Schauspielern eine echte Kunst ist. Eine Kunst, die Bud Spencer so nicht bieten kann. Wohl aber Tatiana Maslany.
—