„Leute, es geht um Kuchen!“ Der Große Vorsitzende sprang vom Stuhl und malte mit ausschweifenden Gesten eine beachtliche Torte in die Luft. „Wir werden einen Kuchen backen und er wird süß sein und umwerfend gut schmecken! Denkt an das wohlschmeckende Aroma eines Apfelkuchens, an die süßen Düfte einer frisch gebackenen Köstlichkeit!“
Der Große Vorsitzende ließ seinen Blick im Meetingraum umherschweifen und schaute seine Mitarbeiter mit zufriedener Miene an. Seine Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Alle wollten sie nun den versprochenen Kuchen kosten. Noch gab es ihn aber nicht:
„Nun, meine treuen Untergebenen, wenn ihr mit mir dieses Ziel erreichen wollt, so habt ihr dafür entsprechende Aufgaben zu erfüllen. Ihr wisst, was zu tun ist. Auf, auf! Das Meeting ist beendet.“ Die Kollegen Fuchsig, Tapsig und Emsig schwärmten also aus, um ihren Teil der Arbeit zu verrichten und der Große Vorsitzende machte sich weiter strategische Gedanken.
Bald darauf manifestierte sich ein ebensolcher strategischer Gedanke im Kopf des Großen Vorsitzenden: Wenn sie nun statt des Apfelkuchens einen Kirschkuchen backen würden, so würde das die Geschmacksknospen noch viel besser reizen und allen würde das Wasser im Mund zusammen laufen, sodass Pawlows Hunde persönlich vorbeikommen würden, um ihre Anerkennung zu zollen.
Und so setzte sich der Große Vorsitzende an seinen Rechner und verfasste eine Email: „Verehrte Untergebene Fuchig und Tapsig, wir wollen unser Apfelkuchenrezept nun dahingehend erweitern, dass wir die Äpfel durch Kirschen austauschen. Ein Kirschkuchen verspricht uns Gaumenfreuden in diesem Projekt. Nun informiert alle über diese winzige Änderung. Schnell, schnell.“
Derweil war die Kollegin Ella Emsig schon weiter. Da sie die Mail nicht erhalten hatte, wusste sie noch nichts von den Kirschen und wies ihre Leute an, Äpfel aus dem Lager zu holen. Und auch diese machten sich pflichtbewusst auf den Weg.
Frieda Fuchsig aber, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mitzudenken und alles zu hinterfragen, wurde bald darauf beim Großen Vorsitzenden vorstellig: „Wegen der Kirschen wollte ich nur kurz mit dir reden. Die Kirschen im Garten sind noch nicht ganz reif. Wir müssen also entweder noch zwei, drei Wochen warten oder wir gehen Tiefkühlkirschen kaufen.“
„Diese Kunde ist höchst unerfreulich. Aber nun gut. Ich werde mich der Realität beugen, denn ich bin ein weiser Vorgesetzter. Wisse aber, geschätzte Untergebene Fuchsig, ich möchte den Kuchen möglichst schnell haben. Ich kann nicht warten und Tiefkühlobst mag ich nicht. Also lasst uns unsere erste Idee weiter verfolgen und doch einen Apfelkuchen backen.“
Diese Anweisung erfreute Frieda sehr, denn sie mochte Apfelkuchen viel lieber als Kirschkuchen. Außerdem machte es ihr Spaß, mit nur ein paar geschickten Fragen, große Wirkungen zu vollbringen. Es war einfach ein guter Tag.
Drei Zimmer weiter redete Ella gerade mit Theo Tapsig: „Meine Leute haben Äpfel besorgt. Sei stolz auf uns, denn wir waren schnell!“ Theo aber verzog keine Miene und sagte mit müder Stimme: „Pack die Äpfel wieder zurück. Neue Anweisung vom Chef: Es soll jetzt doch ein Kirschkuchen werden.“ Kaum hatte er das gesagt, so stürmte Ella bereits wieder aus dem Meetingraum, um ihre Leute anzuweisen, Kirschen zu besorgen. Das leise Seufzen ihres Kollegen hörte sie schon gar nicht mehr.
Kurz darauf kam Fuchsig um die Ecke geschlendert und traf Emsig auf dem Gang: „Hey Ella, wie weit seid ihr mit den Äpfeln?“ — „Bin in Eile. Gaaaanz neue Anweisung vom Chef: Statt Äpfel jetzt Kiiirschenn!“. Ella war schon fast um die Ecke. „Meine Leute recherchieren gerade, wo es das günstigste Tiefkühlobst giiiibttt.“
Die gerade eben noch vergnügte Stimmung von Frieda trübte sich sofort ein. „Oh Mann“, dachte sie bei sich, „der Chef kann sich ja mal wieder wirklich nicht entscheiden!“
Derweil trommelte der große Vorsitzende ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. Warum war diese Organisation nur so schnarchlangsam? Er wollte doch nur einen schnellen Apfelkuchen!
siehe auch Telefonkette
Diese Geschichte mag auf den ersten Blick übertrieben wirken, aber genau solche Situationen entstehen tagtäglich in großen Organisationen. Irgendwie sind alle Beteiligten unzufrieden und das, obwohl jeder für sich ganz gut gearbeitet hat. Es sind viele kleine Kommunikationsschwierigkeiten, die sich aufschaukeln.
Empfängerkreis
Das erste, was womöglich bei unserer Kuchengeschichte auffällt, ist, dass nicht alle Leute gleichermaßen informiert waren. Das Problem lässt sich nicht vollständig lösen. Dennoch ist es enorm wichtig, dass sich Informationen gut und rasch verteilen. Dazu sollte man sich bei jeder Kommunikation fragen, wer zum Empfängerkreis gehören sollte.
Der erste Gedanke, der sich aufdrängt, ist, dass alle relevanten Leute informiert sein sollten. Das ist auch extrem wichtig. Es passiert so häufig, dass unheimlich viel Zeit verbraten wird, weil die richtige Info nicht bei den richtigen Leuten ankommt. Diese gehen dann von einem überholten Informationsstand aus und rennen in eine andere Richtung als der Rest. Im Extremfall führt das sogar zu Schneeballeffekten, wenn die nicht informierten Kollegen ihrerseits wieder Nachrichten schreiben.
Man könnte also schlussfolgern, dass man den Empfängerkreis lieber zu groß als zu klein wählt. Aber auch das ist alles andere als gut. Leute, die, wie ich, an Schnittstellenpositionen sitzen und mit vielen anderen Leuten und Themen zu tun haben, kriegen dadurch sehr viele Mails. Das führt dann dazu, dass ich ständig Emails lese, die so halbwegs relevante Infos enthalten, aber halt nur so halbwegs. Ich verbringe Zeit damit, Texte mit Infos zu lesen, die man mir auch ein paar Tage später zusammengefasst hätte geben können.
Ein zu großer Empfängerkreis führt also dazu, dass Leute unproduktiver werden. Ab einer gewissen Menge an Nachrichten führt es sogar dazu, dass gar nicht mehr alle Nachrichten (vollständig) gelesen werden. Irgendwann ist das Verhältnis von wichtiger Info zu weniger wichtiger Info, von Nadel zu Heuhaufen, so schlecht, dass manche wichtigen Infos untergehen.
Ein weiteres Beispiel von zu großen Empfängerkreisen zeigt folgende Situation:
Beispiel 1: Ein Kollege tat sich schwer mit der Bearbeitung eines Bugs. Er wusste nicht so recht, was zu tun war. Um aus der Zwickmühle zu kommen, setzte er die Frage auf die Agenda für unser Teammeeting. Nicht jeder kannte den Bug und wir sind ein recht großes Team. Zehn Leute, die sich gleichzeitig mit den Hintergründen eines einzelnen Bugs beschäftigen, ist relativ teuer. Es ist also nicht wirtschaftlich, so etwas im gesamten Team zu besprechen. Hilfreicher wäre gewesen, einen einzelnen Kollegen um Hilfe zu bitten.
Empfängerkreis wachsen und schrumpfen lassen
Den wirklich richtigen Empfängerkreis einer Nachricht zu ermitteln, ist gar nicht so einfach und gelingt oft im ersten Anlauf auch gar nicht. Manchmal muss man ja auch erst rauskriegen, wer für was zuständig ist bzw. wer helfen kann. Deshalb ist es manchmal nötig, den Empfängerkreis nachträglich zu ändern. Und hier gucken wir uns mal im Speziellen an, wie gut (oder eher wie schlecht) das bei Emails funktioniert.
Wenn ich bei einer Email-Kommunikation einen weiteren Empfänger hinzufügen möchte, kann ich diesen einfach in CC hinzufügen (ähnlich geht es beim Entfernen). i.d.R. schreibe ich dann auch als erste Zeile in die Email sowas wie [+Frieda, -Theo]. Damit ist auch für die anderen Empfänger klar, dass ich das getan habe. Durch zeitliche Überschneidungen von Emails kann es aber vorkommen, dass noch Kollegen auf vorherige Mails antworten und so meine Änderung des Adressatenkreises nicht greift. Mitunter dauert es eins, zwei Nachrichten länger, bis sich die Änderung durchgesetzt hat – insbesondere, wenn viele Nachrichten in kurzem zeitlichen Abstand ausgetauscht werden.
Faktisch wird der Empfängerkreis auch eher erweitert als reduziert. Der, der ein Interesse an Reduktion hat, ist ja der, der die Nachrichten kriegt, aber nicht braucht. Der muss dann entweder explizit eine Nachricht schreiben „bitte nehmt mich aus dem Verteiler“ oder mit den für ihn irrelevanten Mails leben bzw. diese ignorieren.
Deshalb sind für lange Diskussionen von mehreren Leuten, Emails nur bedingt geeignet. Eigentlich würde man sich für so etwas ein System wünschen, bei dem jeder die Möglichkeit hat, sich selbst von der Empfängerliste zu streichen. Ticketing-Systeme und Webforen bieten so etwas. Dort hat man eine Liste an „Watchern“, auf die man sich setzen kann bzw. die Möglichkeit, einzelne Themen/Threads zu (de-)abonnieren.
Beispiel 2:
Gerade habe ich behauptet, das Watcher-System von Ticketing-Systemen ist ideal um Empfängerkreise zu verwalten. Leider wird das nicht von allen benutzt. Manchmal kriege ich zu hören „die Benachrichtigungsmail von dem Ticket hab ich nicht gelesen. Ich krieg so viele davon, dass ich sie i.d.R. gar nicht angucke.“ Ich bin dann immer versucht, zu antworten „warum bist du dann überhaupt Watcher auf so vielen Tickets?! Das Watcher-System gibt dir doch gerade die Möglichkeit, dich so zu organisieren, dass du eben nicht mit irrelevanten Infos bombardiert wirst.“
Chat-Gruppen sind in der Hinsicht das krasse Gegenteil. Diese haben einen festen Empfängerkreis, der sich gar nicht so einfach erweitern oder reduzieren lässt. Für Infos im Team zu verteilen, ist das super. Für Diskussionen, bei denen potenziell weitere Leute interessiert oder betroffen sind, eher nicht so. Für solche, die nicht alle aus der Gruppe betreffen, auch nicht.
Eskalationen, Kanalwechsel und Crossposts
Bei einer einzigen Nachricht bleibt es i.d.R. natürlich nicht. Auf die eine folgt die nächste. Oft sind es aber gerade die ausbleibenden Nachrichten, die den nächsten Schritt der Kommunikation nötig machen: die Eskalation. Das bedeutet nicht, dass man direkt zum Chef rennt. Das ist eine Eskalationsstufe, aber sicher nicht die erste. Wenn sich nichts bewegt, nutzt man schritt für Schritt immer „penetrantere“ Kommunikationskanäle. Ticket-Kommentar → Email → Chatnachricht → Anruf → persönlich vorbeigehen → über Vorgesetzte eskalieren
Solche Eskalationen sind normal, bergen aber die Gefahr, dass sich die Diskussion verzettelt. Man fängt an, im Ticket zu diskutieren, dann wird via Mail und Chat eskaliert und ehe man sich versieht, diskutiert man dasselbe Thema in drei verschiedenen Kanälen mit drei unterschiedlichen, aber überlappenden, Personengruppen.
Wichtig ist also, dass man die Diskussion immer wieder zurück zum passenden Kanal holt. Am besten macht man schon über die Wortwahl im Eskalationskanal klar, wo weiter diskutiert werden soll. Also statt die Frage aus dem Ticket in einer Mail zu wiederholen, ist es besser, sowas zu sagen wie „bitte äußere dich im Ticket zu meiner dortigen Frage“.
Ist die Diskussion bereits verzettelt bzw. ist sie im falschen Kanal gestartet, bietet es sich an, den Nachrichtenverlauf aus dem Eskalationskanal in den Diskussionskanal zu kopieren und darauf zu verweisen, dass dort weiter diskutiert werden sollte.
Beispiel 3:
Häufig passiert es, dass Diskussionen per Mail anfangen und dort der Empfängerkreis immer größer und der Email-Verlauf immer länger wird. Wenn ich so etwas bemerke, kopiere ich meist den Mailverlauf in ein Ticket und schreibe zurück, dass ich die Maildiskussion in ein Ticket konvertiert habe und wir nun dort weitermachen sollten. Selbst, wenn es keine perfekte Ticket-Queue für die Diskussion gibt, ist das allemal besser, als auf einen nachvollziehbaren Nachrichtenverlauf und das Watcher-System verzichten zu müssen.
Beispiel 4:
Wenn via Telefon eskaliert wurde, gibt es noch das zusätzliche Problem, dass es davon ja erst einmal keine nachlesbare Aufzeichnung gibt. Deshalb schreibe ich gerne dann ins Ticket (oder wo auch immer die eigentliche Diskussion stattfindet) so etwas wie „wie eben telefonisch besprochen …“ und wiederhole dort nochmal die Absprache.
Kanalwechsel passieren aber nicht nur bei Eskalationen. Manchmal kommt es vor, dass Leute aus einer gewissen (Ab-)Neigung für gewisse Kanäle den Kanal wechseln und die Diskussion dadurch zersplittert. Das finde ich dann besonders schade, weil das nicht nötig gewesen wäre.
Beispiel 5:
Für jeden Bug pflegen wir ein Bugticket, in dem alles dazu drin stehen sollte. Immer wieder beobachte ich, dass das aber nicht passiert, weil lieber im Chat diskutiert wird. Das geht natürlich schneller. Aber die Diskussion verzettelt sich, im Bugticket steht nicht die aktuelle Info und wenn Leute außerhalb des Teams involviert werden, haben die keine Chance, auf die Inhalte aus der Chatgruppe zuzugreifen.Manchmal mache ich tatsächlich auch selbst über unsere Chatgruppe auf einen Bug aufmerksam bzw. stoße an, dass wir uns absprechen, wer den Bug nun bearbeitet. Mittlerweile schreibe ich dann aber explizit darunter, dass die inhaltliche Diskussion zum Bug im Ticket geführt werden sollte und in der Chatgruppe nur abgesprochen wird, wer sich darum kümmert.
Zu einem ähnlichen Problem kommt es, wenn absichtlich dieselbe Information über mehrere Kanäle verteilt wird.
Beispiel 6:
Meetingprotokolle werden häufig per Mail verschickt. Der bessere Kanal wäre eigentlich ein zentrales Wiki. Was mich immer wieder wundert, ist, dass manchmal beides gemacht wird. Das Protokoll ist im Wiki, aber gleichzeitig wird eine Kopie per Mail verschickt. Wenn beide Kanäle gebraucht werden, dann sollte, meines Erachtens, ein Link auf die Wikiseite per Mail verschickt werden. Ansonsten kann es passieren, dass auf der Wikiseite das Protokoll korrigiert wird und in der Mail noch die alte Version steht. Unterschiedliche Versionsstände desselben Dokuments erzeugen viel zu häufig Missverständnisse und kosten so Zeit.
Beispiel 7:
Manche Chat-Systeme erlauben es, eine Mail zu schreiben, die dann automatisch auch in einen Chat-Kanal gepostet wird. Es ist auch vollkommen in Ordnung, das zu benutzen und in manchen Kontexten ein wirklich hilfreiches Feature. Vor einiger Zeit hat aber ein Kollege manche Emails über dieses Feature an einen Chat-Kanal geschickt und zusätzlich jede einzelne Person nochmal in CC gesetzt. Als Resultat hat man dann dieselbe Nachricht zweimal gekriegt. Einmal per Mail und einmal per Chat. Wo soll man nun antworten?
Fazit
Insgesamt kann man wohl festhalten, dass es gleichermaßen wichtig und schwierig ist, den richtigen Empfängerkreis zu wählen. Das wird mir immer dann schmerzlich bewusst, wenn auch mir das mal wieder nicht ganz gelungen ist. Mit diesem Blogartikel möchte ich jedenfalls dazu beitragen, dass wir uns alle ein wenig mehr Gedanken darüber machen. Und vielleicht sind wir dann auch ein bisschen weniger genervt von Kommunikation und freuen uns statt dessen lieber über einen frisch gebackenen Kuchen.
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe über Kommunikationskanäle. Die einzelnen Teile werden in unregelmäßigen Abständen nacheinander veröffentlicht.
- Kapitel 1: Die Taverne Zum Einäugigen Drachen (Motivation, Kommunikationszwecke)
- Kapitel 2: Leute, es geht um Kuchen! (Empfängerkreis, Crossposts, Eskalation, Kanalwechsel)
- Kapitel 3: ??? (Kanaleigenschaften)
- Kapitel 4: ??? (Chat)
- Kapitel 5: ??? (ToDos)
- Kapitel 6: ??? (ineffiziente Kommunikation)
- Kapitel 7: ??? (Entscheidung)
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