„Die Kunst an der Kunst ist die Kunst, die Kunst für teuer Geld zu verkaufen“, hab ich mal behauptet. Offensichtlich kann man eine Meinung haben, ohne Ahnung zu besitzen. Meine Meinung hat sich mittlerweile geändert und so könnte ich momentan Folgendes, vielleicht nicht weniger Fragwürdiges, über Kunst sagen: Kunst ist eine Form der Kommunikation, bei der der Rezipient (der Leser, Betrachter, Zuhörer, etc.) den Inhalt der Nachricht bestimmt. Kunst muss also Lust machen, über das Werk nachzudenken.
Aber ich hab nicht nur von Kunst keine Ahnung, meine Fähigkeiten was Zeichnen und Malen anbelangt bewegen sich irgendwo zwischen unterirdisch und abartig schlecht. Manchmal kann ich aber ein bisschen schreiben. Es folgt ein Selbstgespräch über Lyrik mit eingewobener Rezension und abschließendem Jammern darüber, dass ich zu blöd für Ironie bin… oder so.
Lyrik ist Text in Form. Die Form kann sehr starr sein (z.B. ein barockes Sonett mit Alexandriner) oder sehr frei (z.B. freier Vers ohne Reim und Metrum). Wenn man ein Gedicht schreibt, so kann man sich beliebige Formanforderungen auferlegen oder diese gerade weglassen. Bis auf eine: Ein Gedicht hat immer Verse. Ohne Verse kein Gedicht. Man muss nicht reimen, man muss kein Metrum einhalten, aber wenn man alles in eine Zeile packt, ist es kein Gedicht mehr.
Verse sind also Minimalanforderung. Aber auch das reicht nicht. Beispiel:
Ein
Gedicht hat immer Verse.
Ohne Verse
kein Gedicht. Man
muss nicht reimen, man muss kein Metrum einhalten, aber
wenn man alles
in eine Zeile packt, ist
es kein Gedicht mehr.
Das ist Text mit Versen, aber kein Gedicht. Damit aus einem Text mit Versen ein Gedicht wird, damit aus einem Text mit Form ein Text in Form wird, muss ich versuchen, Text und Form in Einklang zu bringen. Ich setze also nicht willkürlich Zeilenumbrüche, sondern absichtlich um damit eine gewisse Wirkung zu erzielen.
Verse beeinflussen, wie man ein Gedicht liest. Man könnte jetzt die Verse nach grammatikalischen Gesichtspunkten setzen:
Ein Gedicht hat immer Verse.
Ohne Verse kein Gedicht.
Man muss nicht reimen,
man muss kein Metrum einhalten,
aber wenn man alles in eine Zeile packt,
ist es kein Gedicht mehr.
Auch das ist kein Gedicht. Zwar sind die Verse nicht willkürlich gewählt, aber man würde den Text nicht anders lesen, als wenn alles in einer Zeile stände (das sieht man schön an den Satzzeichen). Die Form hat keine Auswirkung, beeinflusst nicht die Interpretation des Textes — noch nicht mal das Lesen. Anders sieht es aus, wenn man Folgendes tut:
Ein Gedicht hat
Immer Verse
Ohne Verse
Kein GedichtMan muss
Nicht reimen
Man muss
Kein Metrum einhalten
Aber wenn man alles in eine Zeile packt
Ist
Es kein Ge-
dicht mehr
Das liest man anders — durch die Verse. Es sind die selben Wörter. Aber eben in Form. Die Form hat eine gewisse Beziehung zum Inhalt. In der ersten Strophe erzeugt der Parallelismus in Versen 2 und 3 einen auffälligen Gegensatz, der sich auch inhaltlich widerspiegelt. Und in Vers 9 ist alles in eine Zeile gepackt, was auch genau so die inhaltliche Aussage ist. Das wiederum steht in krassem Gegensatz zum folgenden Vers, der nur aus dem Wort „ist“ besteht und damit die Sache noch deutlicher macht.
Das Fehlen der Satzzeichen ermöglicht Interpretationsspielräume, die der Prosasatz so gar nicht hatte. Man könnte lesen „Ein Gedicht hat immer Verse ohne Verse — kein Gedicht“. Das hab ich so nicht gemeint, als ich den Prosasatz geschrieben habe, aber ein Leser kann das lesen und sich Gedanken darüber machen. Das macht das Gedicht zu mehr als zu reiner Informationsvermittlung. Wenn ich das möchte, schreibe ich kein Gedicht. Gute Gedichte laden dazu ein, auch dort Sinn zu finden, wo ihn der Dichter nicht hineingelegt hat.
Ein wichtiges Stilmittel, das ich auch jetzt erst so langsam verstehen lerne, ist das Enjambement — der Zeilensprung. Als ich in der Schule gelernt habe, was das ist, fand ich das doof; irgendwie merkwürdig und unpassend. Gedichte müssen Metrum und Reim haben, dachte ich. Das ist irgendwie „gewohnter“. Aber nein: Wenn man nicht Reim und Metrum als Stilmittel verwendet, muss man eben andere nehmen. Beispielsweise eben das Enjambement. Man kann das auch umgekehrt sehen: Wenn man auf Enjambements verzichtet (also im altbekannten Zeilenstil schreibt), muss man eben auf sowas wie Reim und Metrum zurückgreifen.
Ich glaub so richtig verstanden hab ich das erst, als ich letztens „Das verspielte Papier“ von Kerstin Hensel gelesen habe. Ein wirklich tolles Buch über starke, schwache und vollkommen misslungene Gedichte. Das Buch ist kurzweilig geschrieben und wirklich lesenswert: auch — oder gerade — für Leute, die, wie ich, kaum mehr über Gedichte wissen, als das, was sie in der Schule gelernt haben. In kurzen, thematisch angelegten Kapiteln werden Gedichte von bekannten, weniger bekannten und vollkommen unbekannten Dichtern besprochen. Mal gehts um Reime, mal ums Metrum, mal um Naturgedichte, mal um Liebesgedichte, mal um Märchenhaftes oder Politisches.
Man merkt recht schnell, worum es Kerstin Hensel geht: Gute Gedichte sind interpretierbar und zeugen von Kreativität. Sie laden ein, entdeckt zu werden. Schlechte Gedichte wirken gezwungen, weil der Dichter krampfhaft nach einem Reim gesucht hat oder nach einem Wort, das ins Metrum passt. Zu einem guten Gedicht gehört eben mehr, als nur einen Text zu schreiben, der sich irgendwie reimt. Sobald man grob verstanden hat, worum es geht, kann man sich den Spaß machen und zuerst das jeweilige Gedicht lesen und sich dann überlegen, was daran gut oder schlecht ist. Das kann man dann mit dem Vergleichen, was Kerstin Hensel, als Lyrikerin und Lyrikdozentin zu sagen hat. „Das verspielte Papier“ wird so zu einem kleinen Lyrikrätselbuch. Man muss nur gucken, dass man den Autorennamen beim Lesen zuhält. Wenn da beispielsweise „Brecht“ oder „Goethe“ steht, muss es wohl ein gutes Gedicht sein und wenn der Name fehlt (man will ja keine Möchtegern-Dichter mobben) ist es typischerweise vollkommen missraten. Das Zuhalten klappt leider nicht immer, aber die Gedichte-Rätsel machen trotzdem Spaß.
Wie gesagt: Man merkt recht schnell, worum es hier geht. Nur bei einem Kapitel hatte ich echt meine Probleme. Und das war lustigerweise beim Thema Ironie. Eigentlich dachte ich, ich kann Ironie schon einigermaßen erkennen; mehr noch: Ich machte selbst ständig ironische oder sarkastische Bemerkungen. Aber hier… Ich muss feststellen für ironische Gedichte bin ich zu blöd. Wer das selbst einmal nachfühlen will, darf dem Buchdealer seines Vertrauens fünfzehn Euro geben und kriegt dafür gut 200 unterhaltsame Seiten mit „verspieltem Papier“.
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*hust* *räusper*
Ähm, tja, hallo…
Ich bin’s. Der komische Poetry Slammer aus der Nähe von Karlsruhe!
Wenn ich zugeben müsste, dass ich dich gegoogelt habe, weil wir uns gestern nicht richtig verabschiedet haben, würde ich es höchstwahrscheinlich verneinen.
Da aber keiner danach fragt, gebe ich es offen zu!
Vielleicht habe ich auch gerade den falschen Blog durchgeschaut und du darfst diesen Kommentar gekonnt ignorieren.
Wie auch immer. Ich habe jetzt mal, aliengleich, den „first contact“ gestartet, in der Hoffnung, mich mit dir in Zukunft austauschen zu können, was zukünftige Auftritte oder kreative Ideen angeht!
Wie auch immer (sehr toller blogbeitrag hier übrigens, deine Ausführungen haben selbst mich über den Sinn des Gedichtes etwas nachdenken lassen) ich wünsche dir eine geniales Wochenende, und viel Spaß und freude an allem was du noch so vor hast!
Mach’s gut, bis dann!
Patrick
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Hi Patrick,
schön von dir zu hören! Ja, das hier ist mein Blog. Ich bin noch unschlüssig, was mein Slammer-Ich damit machen soll. Vielleicht wird es in Zukunft ein paar Blogartikel zum Thema Poetry Slam geben. Vielleicht teile ich das Blog auch auf oder mach nur ne Unterseite oder…
Offensichtlich hast du mich aber gefunden. 🙂
Ja, wir können uns sehr gerne austauschen. Meine Mailadresse findest du im Impressum. Myslam ist als Community leider tot und Facebook versuche ich immer noch zu boykottieren. Die gute alte Email sollte es aber auch tun.
Bezüglich Blogpost: Danke für die Blumen!
Machs gut und hoffentlich bis bald mal wieder!
Christian