„Wie ich sehe, sind Sie mit den Mordfällen Pavlos und Singh befasst. Um Ihnen unnötigen Aufwand zu ersparen, sage ich Ihnen: Ich habe beide getötet. Warum, werden Sie bald erfahren. Allerdings haben Sie ein Problem. Sie können mich nicht verhaften. Sie können mich nicht aufhalten. Denn ich bin tot.“
Vor einiger Zeit habe ich Neuromancer von William Gibson gelesen. Ein bekanntes, viel gelobtes Buch. Und um ehrlich zu sein, war ich enttäuscht. Mal davon abgesehen, dass es manchmal unnötig schwer zu verstehen ist und wirr erscheint (insbesondere am Anfang; wird später besser; so richtig in Fahrt kommt die Geschichte aber nie), ist dort alles, was Technik betrifft… merkwürdig bzw. unrealistisch. Gut, das Buch stammt aus den 80er Jahren, aber dennoch: Mir hat das Buch nicht sonderlich gefallen udn so hab ich die beiden Folgebände gar nicht erst gelesen.
Ganz anders ist es mit dem, was ich jetzt gelsen habe: Daemon und Darknet von Daniel Suarez. Suarez ist Softwareentwickler und das merkt man. Technisch gesehen hat das, was er schreibt, im Großen und Ganzen Hand und Fuß. Und für einen Informatik-Studenten ist es ausgesprochen angenehm, wenn man einen Roman liest, in dem Begriffe wie „IP-Adresse“, „Formatstring-Hack“ und „Quellcode“ in einem technisch nachvollziehbaren Zusammenhang stehen. Man kann die Bücher auch lesen ohne diese Begriffe zu verstenen. Wenn man sie aber kennt und sieht, dass sie richtig verwendet werden, ist der Roman nochmal so gut. Auch die deutsche Übersetzung macht das nicht kaputt (im Gegensatz zu Fachliteratur lese ich Romane lieber in der deutschen Übersetzung). Es gibt zwar ein paar Stellen, bei denen ich vermute, dass die Übersetzung etwas Merkwürdiges gemacht hat. Das ist eindeutig im Rahmen und tut dem Lesegenuss keinen Abbruch.
Nun, worum gehts? Matthew Sobol ist Chef einer großen Computerspielefirma. Und er ist totsterbenskrank. Er leidet an einer Krankheit, an der er langsam aber sicher stirbt. Kurz nachdem aber die Meldung über seinen Tod durch die Medien geht, geschehen merkwürdige Dinge. Der Daemon, eine verteilte KI, die Sobol auf Basis seiner Computerspiele entwickelt hat, erwacht zum Leben und verfolgt düstere Pläne. Der Daemon wirbt Leute an, begeht Morde und infiltriert Firmennetze. Der Daemon übernimmt die Welt. Und gewisse Leute versuchen das zu verhindern.
Das hört sich ziemlich nach schwarz/weiß-Malerei mit vorhersehbarem Plot an, aber genau das ist es nicht. überhaupt nicht. Diverse Plot Points erzeugen nicht nur Spannung, sondern weichen auch die zu Anfang scheinbar noch herrschende schwarz/weiß- bzw. gut/böse-Trennung auf.
Wie von einem Thriller kaum anders zu erwarten, gehen massenweise Autos kaputt und an Toten mangelt es auch nicht. Und wie von Science-Fiction zu erwarten gibt es immer mal wieder (oder andauernd) Technik die so (noch) nicht existiert. Aber Daemon ist mehr als nur ein Thriller mit starkem Technikanteil. Manche Teile lesen sich wie ein Computerspiel, andere sind in hohem Maße gesellschaftskritisch. Es ist ein intelligenter Roman, der nachdenklich stimmt. Gerade auch, weil er sehr real wirkt. Viel tennt uns nicht von der Welt des Romans — sowohl gesellschaftlich als auch technologisch.
Ich könnte jetzt noch in den Krümeln suchen. Ich könnte erklären, was technisch so nicht funktioniert (z.B. das Portieren einer Computerspiel-Auto-KI auf ein richtiges Auto) und warum die Features des Daemon übertrieben gut sind und kaum Bugs zu haben scheint. Oder ich könnte mich fragen, warum sich ein hochgradig verteiltes System zumindest an einer Stelle (kurz vor Schluss) wie ein zentralisiertes zu verhalten scheint. Ich könnte auch aufzählen, welche Kleinigkeiten man meiner Meinung nach an der Geschichte verbessern könnte. Das würde dem Roman aber nicht gerecht. Im Vergleich zu dem, was andere Romanschreiber fabrizieren, ist das lächerlicher Kleinkram. „Daemon“ ist ein guter Roman. Die Geschichte erschafft im wahrsten Sinne des Wortes eine eigene Welt; sie ist spannend, gut erzählt und regt sogar zum Nachdenken an.
Kurz: Ein intelligenter Roman, der mir viel Spaß gemacht hat.